
Hier das Cross-Posting dieser Kolumne.
Manche Tweets und Kommentare verärgern, manche verletzten auch. Sehr. Es gibt auch Trolle im Netz, deren Lebensinhalt nur darin besteht zu provozieren und aufzufallen. Und ja, manche Politiker – oder deren Unterstützer – inszenieren im Netz Kampagnen, die an Hetzjagden erinnern: Gezielt lassen sie Hass-Kommentar auf Hass-Kommentar folgen, Schmähkritik auf Schmähkritik. Doch trotz alledem bin ich der Meinung: Es gibt keine politischen Shitstorms! Und die Politik sollte deshalb keine Angst davor haben.
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Cover "politik&kommunikation" Nr. 110 |
Diese Angst lähmt nicht nur das Kommunikationsverhalten der Politik, es führt auch dazu, dass jede noch so berichtigte Kritik, die über digitale Kanäle geäußert wird, allzu schnell als „Shitstorm“ kategorisiert und – das ist das Fatale – damit ignoriert wird. Das ist der falsche Ansatz.
Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass nur ein geringer Teil von Kritik an Politikern oder ihren Positionen wirklich Schmähkritik ist. Vieles von dem, was geäußert wird, hat einen konstruktiven Kern.
So schaffen es wenige professionelle Provokateure (Trolle), mit ihren aggressiven und beleidigenden Statements eine politische Diskussion zum Beispiel auf Facebook abzuwürgen. Das ist sehr schade. Denn über jede Kritik sollte sich ein Politiker freuen. Bedeutet sie doch, dass sich Bürger mit seinen Positionen und mit seiner Arbeit auseinandersetzen. Das schlimmste wäre doch für unsere Demokratie, dass das politische Handeln teilnahmslos an der Bevölkerung vorbei geht. Daraus entstehtDemokratie- und Politikverdrossenheit.
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Symbolfoto: Analoger Hass |
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Harte politische Arbeit bei Dr. Matthias Bartke (SPD), MdB |
Jeder Dialog baut die Angst vor dem „Shitstorm“ etwas mehr ab. Wenn Sie es schaffen eine digitale Community an sich zu binden, dann wird diese Sie auch in kritischen Situationen verteidigen. Das müssen sie dann gar nicht mehr selber tun.
Zudem empfehle ich ein gewisses Maß an Souveränität um Umgang mit Kritikern: Nach einiger Zeit kennt man die „üblichen Verdächtigen“, weiß, wer pöbeln möchte und wer eine politische Kampagne im Hintergrund hat. Man muss lernen, diese Kritikzu ignorieren. Dabei hilft eine klar formulierte Netiquette, die transparent auf den Social-Media-Profilen präsentiert werden muss. Jeder, der dagegen verstößt, wird kommentar- und diskussionslos gelöscht. Nur so kann jeder Politiker individuell die politische Diskussionskultur auf seinen Profilen steuern.
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Netiquette der Bundesregierung auf Facebook |
Ich wünschte mir beispielsweise auch, dass sich alle demokratischen Parteien in Deutschland zusammenschließen und eine Erklärung zur politischen Diskussionskultur formulieren. Sie sollten darin klar aufzeigen, wo die Grenzen von Kritik liegen. Bisher sehe ich weder in der Politik – noch in den Medien, die vor den gleichen Problemen stehen - eine gesamtgesellschaftliche Bereitschaft für solch einen Schritt.
Dabei müssen Kritiker lernen, dass sie ihre Kommentare vor dem Veröffentlichen mitunter überdenken sollten und dass nicht jede verletzende Aussage die politische Diskussion voranbringt. Diesen Lernprozess durchleben die Medien, die Politik aber auch andere Teile der Gesellschaft gerade.
Zudem wünschte ich mir mehr Souveränität im Umgang mit Trollen. Man kann Kommentare löschen – ihnen aber auch mit leichter Ironie begegnen. Die CDU versucht gerade, die guten Erfahrungen von WELT, Tagesschau und anderen Medien zu nutzen und stärker mit diesem Stilmittel zu arbeiten. Nachahmenswert, finde ich.
Nicht zu vergessen: Für jede verletzende Schmähkritik gibt esGesetze in Deutschland. Diese sollten von den Betroffenen öfter genutzt werden.
Und zu guter Letzt ein smarter Hinweis von Regierungs-Twitterer Steffen Seibert. Bereits 2012 erklärte er, wie er mit allzu grenzwertiger Kritik im Netz umgeht: Twitter aus, Rechner aus und am nächsten Tag beginnt das Leben wieder bei 0. Aber, meine Hoffnung: In wenigen Jahren werden wir über Shitstorms ohnehin nicht mehr reden.
Haben Sie keine Angst vor den Gedanken ihrer Bürger, wagen sie sich auch weiterhin in Dialoge. Es zahlt sich aus.
Ergänzung eins
Und wenn man doch mal in einen seltenen Shitstorm gerät, gibt es Wege diesen zu begegnen. Christiane Germann hatte vor einigen Wochen in diesem Blog beschrieben, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit einem Shitstorm souverän und erfolgreich umgegangen ist.
Ergänzung zwei
Danke an Christian Salzborn, der mich richtigerweise darauf hingewiesen hat, dass ich definitorisch nicht ganz sauber formuliert habe. Es gibt einen Unterschied zwischen Shitstorms und Flamwars.
Tipp:
Unter dem Titel "Erregungskampagnen in Politik und Wirtschaft - Digitale Öffentlichkeit zwischen Candy- und Shitstorms"(.pdf) haben Prof. Caja Thimm (Universität Bonn) und Prof. Christoph Bieber (Universität Duisburg-Essen) für die Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) vor kurzem eine Studie vorgelegt, die sich auch mit Shitstorms in der Politik beschäftigt und u.a. der Frage nachgeht wie man darauf reagieren sollte und welche Konsequenzen Shitstorms für die politischen Akteure haben.